Rom–Rosenheim, einfach

Stazione Roma Termini | Foto © arminpost | 
Eine Reisebericht der anderen Art. Mit Menschen auf der Flucht unterwegs. Erschinen in der FF, am 27. August 2015
Rom, 15. August, 21.30 Uhr. Der Bahnhof „Termini“ füllt sich mit Flüchtlingen. Wann fährt der Nachtzug nach Bozen, wollen sie wissen. Seit Monaten bin ich mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigt, ich war auf den Bahnsteigen entlang der Brennerachse, habe versucht zu helfen, mithilfe der sozialen Medien oder auf meinem Blog zu informieren, ich habe öffentlich Stellung bezogen. Ich bin nach Rom gefahren, um mit den Menschen auf der Flucht nach Rosenheim zu fahren. Genau werde ich nie wissen, wie es ist, am Bahnhof in Rom als Flüchtling zu landen, im Gegensatz zu ihnen kenne ich das System und die Sprache. Ich kann mir ohne Problem am Schalter eine Fahrkarte kaufen, in Südtirol entwerte ich mein Abo und steige in den Zug.

Auf den Bahnhöfen in Südtirol habe ich viele Flüchtlinge getroffen, sie haben mir Geschichten erzählt, von denen sich jeder von uns wünschen muss, dass er sie nicht am eigenen Leib erlebt. Darunter waren immer wieder Menschen, die mit dem Nachtzug von Rom nach Bozen gekommen waren: unausgeschlafen, hungrig und durstig.
In „Termini“ merkt man untertags wenig von den Flüchtlingen. Die Anlaufstelle der Caritas liegt in der Nähe des anderen großen römischen Bahnhofs „Tiburtina“. Aber in „Termini“ kann man beobachten, wie Schlepper agieren oder wie gut gekleidete Rumänen für teures Geld Fahrkarten an Menschen auf der Flucht zu verkaufen suchen.
Ich stelle mich vor einem der Fahrkartenautomaten an und gebe mich ahnungslos, tue so, als würde ich weder Englisch noch Italienisch verstehen. Sofort will mir jemand „helfen“ eine Fahrkarte zu lösen. „Dai dammi cento Euro“, sagte er, „ti faccio il biglietto.“ Eine Fahrkarte für das Sitzabteil im Nachtzug Rom-Bozen kostet 53 Euro.
Der Nachtzug nach Bozen fährt um 23 Uhr ab. Ich bin im Besitz einer Karte für den Schlafwagen: 83,60 Euro. Man kann sie nur lösen, wenn man am Automaten seinen Namen eingibt. In den Schlafwagen kommt nur, wer sich ausweisen kann. Wer das nicht kann, wird mürrisch hinauskomplimentiert, er darf sich nur in einem der Sitzabteile aufhalten. Menschen auf der Flucht haben keine gültigen Papiere.
Ich mische mich unter die Leute, die auf den Zug waren – gut 100 Flüchtlinge werden am Ende in den Zug steigen. Ich erfahre, dass die Menschen auf der Flucht den Tag bei Bekannten aus Eritrea in Rom verbracht haben, dass sie von Schleppern in Kellerlokalen „versorgt“ wurden, oder dass sie bei der Caritas Hilfe gefunden haben.
Die meisten Menschen in den Sitzabteilen versuchen zu schlafen. Ja nicht auffallen. Abush, ein 22-jähriger Eritreer, erzählt mir seine Geschichte, wir rauchen auf dem Klo eine Zigarette. Seit fünf Monaten ist er unterwegs, davon hat er drei Monate in libyschen Gefängnissen verbracht. Kaum zu essen gab es dort, aber viel Gewalt. Nach der Flucht aus dem Gefängnis floh er auf einem Boot über das Mittelmeer, dabei starben 15 Menschen. Er will nach Deutschland, er hat in Eritrea als Schlosser gearbeitet, er ging, als der Rest seiner Familie ausgelöscht wurde.

Bozen  | Foto © arminpost |
Bozen, 8.00 Uhr. In Rom hatte mir eine Eritreerin gesagt: „i ragazzi sanno che a Bolzano li aspettano i volontari in stazione.“ Am Bahnsteig wartet eine Helferin von „Volontarius“, die Flüchtlinge folgen ihr, anstatt die Unterführung zu nehmen. Wissen die Flüchtlingen also wirklich, dass sie in Bozen von freiwilligen Helfern erwartet werden? Im Aufnahmezentrum am Stumpfgleis gibt es Frühstück für die gut Hundert, die aus Rom gekommen sind. Um neun Uhr nehme ich den Regionalzug zum Brenner, die Fahrkarte kostet 13 Euro, wenn man keine „Südtirol-Pass“ hat. Der Zug ist voll mit Radtouristen, Auflüglern und Senioren. Gut 40 Flüchtlinge sitzen mit mir im Zug, sie haben sich an mich gehalten.

Brenner  | Foto © arminpost |
Brenner, 10.22 Uhr. Wir verpassen den Anschlusszug nach Kufstein. Vor Ort treffen wir zwei Helfer von Volontarius. Die Flüchtlinge werden zum Fahrkartenschalter der ÖBB eskortiert, 47,80 kostet die Weiterfahrt nach München. Nicht alle haben so viel, für drei Menschen legen wir zusammen. Mit den nächsten Regionalzügen kommen weitere Flüchtlinge und so sind es schließlich gute 100, die um 11.28 den Regionalzug nach Kufstein nehmen. Das eigentliche Ziel ist München. Die Menschen staunen über die Landschaft. Unbehelligt von der österreichischen Polizei erreichen wir Kufstein.

Kufstein | Foto © arminpost |
Kufstein, 13.10 Uhr. „Der Zug endet hier.“ Die Flüchtlinge halten sich an mich, obwohl auch ich nicht weiß, mit welchem Zug es ein Weiterkommen gibt. Nehmen Sie den Eurocity 88 um 13.20 Uhr! Er ist in Bozen um 10.34 abgefahren. Die Flüchtlingen wissen: der Eurocity ist für sie wegen der trilateralen Kontrollen durch die italienische, deutsche und österreichische Polizei nicht unbedingt empfehlenswert. Wir besteigen den Zug und überqueren bald die deutsche Grenze. Freude bei den Flüchtlingen. Ein Mann aus Syrien umarmt mich und bedankt sich. Wofür? Ich bin ja nur mitgefahren.

Rosenheim | Foto © arminpost |
Rosenheim, 13.42 Uhr. Hier ist für die Menschen auf der Flucht Endstation. Ein Großaufgebot der Bundespolizei holte alle Passagiere ohne gültige Papiere aus dem Zug. Ein Team von RTL richtet die Kamera auf enttäuschte Gesichter. Dürfen die das, fragen einige Reisende, muss man die Menschen noch weiter entwürdigen, reicht es, sie aus dem Zug zu holen. Darf ich fotografieren, frage ich den Sprecher der Polizei. Ja, sagt er, aber nur für den privaten Gebrauch, keine Veröffentlichung. Aber warum darf dann RTL ungehindert filmen, die Presse Bilder von Flüchtlingen zeigen? Inzwischen hat die Bundespolizei die Menschen in der Unterführung zusammengetrieben. Am Bahnsteig ist ein mobiles Büro mit Campingtischen eingerichtet. Dort werden die Flüchtlingen namentlich erfasst. Sie und ihr Gepäck bekommen ein Bändchen mit einer Nummer. Für alle sichtbar führt man Leibesvisitationen durch, persönliche Sachen werden ihnen abgenommen. Später werden sie in eine Turnhalle in Rosenheim gebracht. Dort werden ihnen die Fingerabdrücke abgenommen, dort können sie einen Asylantrag für Deutschland stellen. Ich rede mit ein paar Polizisten. Menschlich überfordert uns das, sagen sie.

Landesrätin Martha Stocker verlautbarte in einer Presseaussendung am 21. August 2015: Seit Mitte Dezember 2014 seien am Brenner 14.720 Kinder und Erwachsene mit warmen Essen und Getränken versorgt worden. 60 am Schnitt pro Tag. Aber stimmt das auch? Die meisten Medien im Land übernahmen die Pressemitteilung ungeprüft. Warmes Essen, habe ich selbst erlebt, gab es nur während der drei Wochen, in denen wegen des G7-Gipfels in Bayern die Grenzen zu Österreich und Deutschland dicht waren. Täglich 150 Flüchtlinge am Brenner, sagt man mir, sind keine Seltenheit. Die Hilfeleistung besteht darin, sie weiterzuschicken, am Brenner lösen sie ungehindert eine Fahrkarte nach München.  Die Flüchtlinge, mit denen ich nicht nach München, sondern nur bis Rosenheim gekommen bin, hocken geduldig auf der Stiege der Unterführung. Sie schauen mich fragend an. Germany, fragen sie? You are in Germany. Zum ersten Mal sehe ich auf ihren Gesichtern so etwas wie Freude.

Quelle: FF Nr. 35/2015, von 27. August


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