Werter Mitmensch Arno Kompatscher. Offener Brief

Am Brenner ist Feuer am Dach.|  Foto © arm | 
Um mit der Tür ins Haus zu fallen: Ich bin konsterniert über das was sich zur Zeit am Brenner abspielt.
Ich habe mir selbst ein Bild vor Ort gemacht. Ich habe mit Flüchtlingen gesprochen. Täglich stranden mit Regionalzügen dutzende Menschen am Brennerpass. Alle wollen weiter nach Deutschland oder nach Skandinavien. Meist mit kleinem Gepäck und oft dürftig gekleidet. Ohne gültige Papiere. Begegnet man diesen Menschen bereits in den Zügen zum Brenner, so wirken sie verschreckt und haben müde Augen. Wer über eine wenig Empathie verfügt kann hinter eine müde Fassade blicken. Der Brenner, mit seiner Bahnhofsstruktur ist ein heruntergekommenes böhmisches Dorf für den Zugreisenden, der umsteigen muss. Für einen Flüchtling ohne Sprachkenntnisse um so mehr.

In der ehemaligen Bar am Bahnsteig |  Foto © arm | 
Das was dort als Hilfe geboten wird, spottet humanitärer Standarts. Der Verein Volontarius mit wenigen Mitarbeitern ist überfordert. So wie ich es erlebt habe, kann man es nicht einmal improvisiert nennen. Es liegt nicht am Verein, als vielmehr an den Zuwendungen der öffentlichen Hand. Ohne Umschweife: Frau LRin Stocker verkauft im Namen der Landesregierung die Tatsachen besser als sie sind.

In der ehemaligen Bar am Bahnsteig, in einem Raum ohne Sitzgelegenheiten, zwischen Cafe-, Softdrinks- und Süßigkeitenautomaten drängen sich dutzende Menschen. Hocken oder liegen am Boden. Kein Tisch. Keine Sanitäranlage. Keine Steckdose zum Aufladen von Handys. Kein Erstehilfekasten. Ich stand im Raum, inmitten Männern, Müttern mit Kleinkindern und Schwangeren im achten Monat. Ich habe – nicht nur wegen der Sprache – Bahnhof verstanden. Es wird Arabisch kommuniziert. Die Helfer sind dessen mächtig. Sie bemühen sich. Sie sind heillos überfordert, wegen der Anzahl der Flüchtlinge.
Das Perverse: So wie Volontarius es macht, wäre es verboten. Illegalen Menschen darf man so nicht helfen.
In den Stunden, die ich am Bahnhof Brenner war, habe ich kein Polizeiorgan - weder Italien noch Österreich – ausmachen können. Im Sinne der öffentlichen Sicherheit bedenklich. Es geht nicht um Repression, als vielmehr um der ureigensten Aufgabe von Polizeikräften: Prävention und Hilfeleistungen bieten. Aber dafür massive Repression am Bahnhof Bozen, wie im ARD Weltspiegel extra am 21. April, um 22.45 Uhr aufgezeigt wurde. Auch kein einziges Hinweisschild gibt es am Bahnhof Brenner, das auf die Präsenz einer Hilfsorganisation hinweist. Oder wo sie zu finden ist. Einer fragte mich nach einer Apotheke, da er Zahnschmerzen hatte. In Brennertown no farmaci. Ich gab ihm ein Schmerzmittel, das ich im Rucksack dabei hatte. Der Dank ein Lächeln und ein fester Händedruck.
Foto © arm | 
 Mensch ist Mensch, egal wo er geboren ist. Livia Klingl, ORF-Ö1 19.04.2015
Das was vor unserer Südtiroler Haustür sich abspielt ist ein Trauerspiel, dessen unsere Zivilgesellschaft, die sich auf humane Werte beruft, nicht würdig ist. Italien ist überfordert und die EU als Friedensprojekt kriegt es nicht auf die Reihe mit den Flüchtlingsströmen die über Europa hereinbrechen. Es ist beschämend für mich als Bürger dieser Gemeinschaft, mich Friedensnobelpreisträger zu nennen. Medialer Zaungast zu sein, wie im Mittelmeer die Menschen ersaufen. 500.000 Flüchtlinge kamen 2014 nach Europa. Das sind 0,1 Prozent der Einwohner. Es stimmt mich nachdenklich, dass dies nicht zu stemmen ist für eine Staatengemeinschaft, die anstrebt die größte Freihandelszone der Welt zu werden. Aber mit der Schlepperindustrie nicht fertig wird. Das reiche Land Südtirol hat die verdammte Pflicht zu helfen. Auch wenn die rechtlichen Vorgaben es schwierig machen (illegalen) Menschen zu helfen.
Wir wohnen einer Tragödie bei, und als Fluchtrute sind wir mitten drinnen. 
So wie nach dem Mai 1945. Damals haben wir auch zugeschaut, und im Nachhinein die Doofen gespielt. Unser Land gedenkt der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, und lässt sich dies viel kosten. Das ist gut so. Es wäre im Lichte der schrecklichen Ereignisse von damals mehr als angebracht, auch dort monetäres einzubringen wo das Feuer am Dach ist. Ich bitte Sie die nötigen Schritte zu veranlassen. Zeigen Sie im Namen der Südtiroler Zivilcourage. Zeigen Sie, dass unser Land gastfreundlich ist. Denn: Wir können es uns leisten. Toll!
Armin Mutschlechner, Mühlbach 



Aktualisierungen
29. Mai 2015
Der Erker

23. April 2015 
Wo alle an ihre Grenzen stoße. salto.bz

22 . April 2015
Erlebnisbericht von Marlies Pixner

Wir (Maria Steffi Moni Eliana) waren heute NM in Bozen am Bahnhof. Brutal und zum Schämen .. sind meine Eindrücke. Heute VM wurden 59 Flüchtlinge (von ca gleich vielen Polizeibeamten) aus dem EC geholt. Männer Frauen Minderjährige. Hungrig schwach erschöpft . KEINE Hilfsorganisation, weder Caritas Rotes Kreuz noch Volontarius vor Ort. 2 Freiwillige, Moni und Eliana haben diesen Ansturm gemeinsam gestemmt. Moni blieb bei den Flüchtlingen, Eliana hat mit eigenem Geld Brot Nutella und Obst gekauft. Man kann sich vorstellen dass das nie und nimmer für 59 Leute reichte. Sie haben sich zu dritt 1 Banane geteilt. eine schwangere Frau kollabierte am Bahnsteig. Am NM hielten sich ungefähr 10 Flüchtlinge am Bahnhof auf. Die meisten minderjährig, einer hat herzhaft geweint, er konnte einfach nicht mehr. Wir haben sie mit Essen Trinken und Infos versorgt. Am Abend um halb 7 als der letze EC eintraf merkte man am Polizeiaufgebot dass wieder Flüchtlinge aus dem Zug geholt werden. Ca 15 Flüchtlinge aus Syrien Eritrea und Somalia, darunter auch Frauen. Eine Syrische Frau ist am Bahngleis zusammengebrochen, ihr Sohn daneben weinte. Es war einfach zu viel! Jahrelanger Bürgerkrieg in Syrien, die Überfahrt mit dem Boot, die Durchquerung Italiens und dann wieder ... Polizei und Kontrollen. Man hat die Frau ins KH gebracht. Wobei ich betonen muss, die Polizei war sehr professionell freundlich und hilfsbereit. Da erst Morgen wieder ein EC nach München fährt müssen alle Flüchtlinge irgendwo, keine Ahnung wo, in BZ übernachten. Es sind menschliche Tragödien und wir sind ein kleiner Tropfen auf heißem Stein. Aber es sind bleibende Eindrücke ... dankbare Menschen, die einem zu Abschied sagen: you are my sister , I pray for you.♥ 

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