Spracherwerb in Südtirol

Für unsere Kinder: Das heutige System nicht zuträglich | foto © arm |
Aus aktuellen Anlass: Thema Sprache. Lasst die Kinder zusammen Spielen, und sie werden die Sprachen erlernen. Das Modell der Trennung ist nicht zukunftsfähig. Und an die Adresse der Schützen: Il vostro modo di fare propaganda non mi piace. Nachfolgend ein Kommentar dazu. Vom Dezember 2014.

Gastkommentar: Und unsere Kinder? | ff 51-52 vom 18. Dezember 2014
Wie kann es sein, dass die Südtiroler die zweite Sprache nicht lernen, fragt sich der Künstler Armin Mutschlechner. Unser System, sagt er, ist einfach nicht zukunftsfähig.
Die Arme verschränkt am Fensterbrett, sehe ich hinaus in mein Dorf. Ich zähle die Häuser, in denen Italiener leben. Viele sind es nicht mehr. In den 1970ern waren es bedeutend mehr. Damals bin ich in die Schule gekommen und konnte Walsch reden. Walsch benutze ich heute noch als Synonym für Italienisch. Und das lasse ich mir auch nicht nehmen. Mit diesem Terminus bin ich (fast) wertfrei aufgewachsen, da mein Vater bei der walschen Enel beschäftigt war.
Ich wuchs mit walschen Kindern auf. Meine Kinder kommen heute in unserem Dorf mit dem „Anderen“ nur in der Schule in Berührung. Leider. Und hier liegt auch die Crux in der Materie. Wir haben in der örtlichen Grundschule das Glück, eine maestra zu haben, die im Unterricht mit viel Einfühlungsvermögen Italienisch spricht. Wo die Kinder „es“ lernen. Grazie maestra.
Meine Sicht auf das Südtiroler Schulsystem ist eine gespaltene. Ich bin Familienvater und Mitglied in einem Schulrat, habe beruflich und projektbezogen mit Jugendlichen aller drei Landessprachen oder mit Schulen zu tun. So wie sich mir das Schulsystem offenbart, kommt an erster Stelle die Verwaltung, zweitens die Pädagogen und dann erst Kinder und Jugendliche.
Ich habe viele tolle Erfahrungen mit engagierten Schulführungskräften und Lehrern gemacht, aber hinter vorgehaltener Hand leiden alle unter den Rahmenbedingungen im Bildungssystem. Am meisten leiden wohl die Schüler selbst unter den Rahmenrichtlinien. Ein kompetenzorientierter Unterricht käme vielen Schülern entgegen. Aber dieser steckt noch in den Kinderschulen, wie auch die Pädagogenausbildungen.
Neulich hatte ich ein Gespräch mit einer Schulführungskraft in meinem Alter. „Unsere Generation hat damals schreiben und lesen gelernt. Heute ist dem nicht so“, meinte sie. Dem kann ich als Legastheniker nur zustimmen, denn meine Erfahrungen mit Jugendlichen untermauern dies. Wie kann es sein, dass man Jugendlichen ein Mittelschuldiplom in die Hand drückt, sie aber in der jeweiligen zweiten Landessprache keinen passablen Satz sprechen können. Ganz abgesehen von der passiven Sprachkompetenz.
Hier produziert das System die Sozialhilfeempfänger von morgen (wie waren noch mal die Arbeitslosenzahlen?), vielfach Leute ohne ausreichende Sprachkenntnisse. Unlängst hatte ich bei einem Projekt mit Maturanten italienischer und deutscher Schulen zu tun. Die passive Sprachkompetenz auf beiden Seiten eine Katastrophe, aber auch sehr löbliche Ausnahmen bei Grödnern und Ladinern. Ein Jugendlicher fragte mich, aparte la pronuncia, „te sei di madrelingua italiana“?
Warum ist nach 13 Jahren Schule mit ca. 1.500 Stunden Zweitsprachenunterricht die Sprachkompetenz oft nicht alltagstauglich? Liegt es daran, dass wir Südtiroler mehr nebeneinander als miteinander leben? Angetrieben von den Kampfparolen „Siamo in Italia“ und „Südtirol ist nicht Italien“. Warum hält die Politik – anno 2014 – noch immer an der Trennung der Sprachgruppen, an einer volkstumspolitischen Inzucht, fest?
Es wird künstlich ein System am Leben erhalten, dessen Verfallsdatum längst abgelaufen ist. Wie paradox das System ist, zeigt sich, wenn ethnisch unterschiedlich viel Geld für Schüler zur Verfügung gestellt wird. Und, um es auf die Spitze zu treiben: Warum werden Haushaltsmittel der österreichischen Minderheit für Schüler der anderen Volksgruppe an deutschen Schulen verwendet? Und was machen wir mit den Migranten? Es gibt zahllose Beispiele bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die nach ihrer Schulkarriere 5 Sprachen sprechen. Und unsere Kinder?
Für die Zukunft unserer Kinder ist das heutige System nicht zuträglich. Denn unser Land baut institutionalisiert auf Trennung auf – kulturpolitisch ist die Autonomie ein Erfolg. Unseren Kindern tun wir damit aber keinen Gefallen.
Quelle: http://www.ff-online.com/ausgaben/2014/51-52/und-unsere-kinder/

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